Auf dem Bau (Kapitel 6) Als die Zeit der Lehre um war, ging ich auf eine Baustelle und fragte den Polier, ob er  noch einen Handlanger brauchen könne. Ich fragte nicht nach  Lohn. Auf alle Fälle bekam  ich das Doppelte, was ein ausgebildeter Gärtner verdiente. Mir war als „schwächlicher“  René der Pickel und die  Schaufel nicht fremd und damit zu arbeiten machte mir Freude  und gab mir das Gefühl von Zufriedenheit. Die Arbeit war einen Graben für eine   Telefonleitung frei zu legen. Jeden Tag kam der Bauführer zu dieser Tiefbaustelle. Nach  einem Monat strenge Arbeit sah ich auf der  Lohnabrechnung, dass ich bei einer Firma  Hch. Stutz AG in Zürich arbeitete. Gleichzeitig hatte diese Firma eine Baustelle in Uitikon  – Waldegg  und an der Universität in der Stadt Zürich. Bei der Baustelle in Uitikon –  Waldegg ging es um ein Mehrfamilienhaus. Im zweiten Monat nahm mich  der Bauführer  von dieser Arbeitsstelle weg und wir fuhren zum Güterbahnhof in Dietikon im Limmattal.  Dort musste ich mithelfen, einen neuen  Kran abzuladen, der dann auf einen Tieflader  nach Uitikon transportiert wurde. Während der Anfahrt zum Ablad fragte mich der  Bauführer, ob das  nichts für mich wäre, zu lernen, wie man mit einem Kran umgeht. Er  und der Polier seien sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Komisch, in den Akten  finde ich  nichts von all dem, was ich nicht verbrochen hatte. Einen Satz fand ich noch in den  Akten: René Stutz arbeitet jetzt auf dem Bau, da er  so mehr verdiene. Das war alles.  Aber in diesen Akten fand ich von Seiten der  Amtsvormundschaften keine einzige Bemerkung, die  positives  berichtete.  Auf dieser Baustelle war ein anderer Polier zuständig.  Ich konnte gleich am Anfang merken, dass er eine   Antipathie gegen mich hatte, warum wusste ich nicht.  Sein Herumschreien nervte mich der Massen, dass ich  beim Betonieren ein Holzgerüst auf die Seite  schob.  Wohl verstanden, hier ging es nicht um einen Baukran  mit waagrechter Laufkatze, sonder um  einen Kran mit  Hebearm. Dadurch ist diese Arbeit viel schwerer. Der  Bauführer schickte mich dann auf  eine Baustelle an  der Universität in Zürich. Ich habe dann sechs Monate  lang als Helfer auf dem Bau  der Universität Zürich  gearbeitet. Ich hatte absolut keine Freude am  Gärtnerberuf, weshalb ich bereits  einen Tag nach  Abschluß der Gärtnerlehre damit begann Handlanger  auf dem Bau zu sein. Ich wurde  also sozusagen die  rechte Hand des Maurers: Steine holen, Beton (Mörtel)  mischen, … etc. Außerdem  hatte ich jede Menge  Bauschutt zu tragen. Täglich musste ich Bauschutt  und Geröll vom 5. Stock bis  zum Erdgeschoss  transportieren. Manchmal musste ich über das Baugerüst steigen, und den Bauschutt  so  auf dem Rücken runter-tragen. Eines Tages bin ich mitsamt dem Bauschutt auf dem  Rücken herunter  gefallen, weil ein Holzbrett nicht stark genug war um mich aufzuhalten.  Das führte zu einem Miniskus -  vorfall und war so schmerzhaft, dass ich nicht mehr  richtig laufen konnte. Da ich schweigsam war, gab  es von Seite des Arztes keine Anzeige  bei der Baupolizei. Ich bin daraufhin zum Arzt gegangen. Dieser  schickte mich nach  Hause und sagte mir ich müsse die Beine hochlegen. Nach 3 Tagen war eines meiner   Knie so stark mit Wasser geschwollen, dass es doppelt so groß wie im Normalzustand  war. Ich musste  dann täglich zu dieser Arztpraxis. Der Arzt, eine Chirurgin, teilte mir nach  14 Tagen mit, dass ich mich  einer Knie-Operation unterziehen müsse. So machte sie  einen Termin im größten Spital Zürichs aus. Sie  selbst wollte bei dieser OP die leitende  Ärztin sein. Zu dieser Zeit wohnte ich bei einer 85 jährigen alten Dame in Zürich, wo ich ein Zimmer  gemietet hatte.  Sie hat mich in dieser Zeit oft bekocht. Einmal, als ich mit ihr am Esstisch  saß, sagte sie etwas  Seltsames: „Herr Stutz, in Zürich 4 gibt es ein öffentliches Gebäude,  das Volkshaus gegenüber dem Bezirksgericht am Helvetiaplatz. Dort sprechen  immer  wieder Evangelisten oder Prediger. Jeden Tag ist dort am Nachmittag eine andere  Veranstaltung. Die verkünden dort das wahre Evangelium  und die beten mit kranken  Leuten.“   Dies sagte mir meine Vermieterin genau einen Tag vor dem Operationstermin. Da ich  mich sehr vor dem Eingriff fürchtete, ging ich hin und hörte  zu. Ich hörte diesen Mann  predigen; die ganze Zeit hatte er seine Bibel in der Hand. Er war ein sehr einfacher,  demütiger, aber „urchiger“ Typ. Es  war ein ziemlich rauer Mann, der mir fast wie ein  Bergbauer vorkam. Bevor er seine Ansprache schloss, sagte er, wer krank sei oder  Probleme  habe und Gebet benötige, der möge bitte am Schluss nach vorn in die erste  Stuhlreihe kommen. Und so blieb ich zurück. Der Mann fragte nach den  Anliegen der  Leute in der ersten Reihe und betete anschließend mit ihnen. Als ich an der Reihe war,  schaute er mich an und fragte: “Glaubst du an  Gott?” Ich hab ehrlich geantwortet: “Nein,  nicht wirklich.” Er gab mir eine symbolische Ohrfeige und meinte: “Ich werde Dir  beweisen, dass Gott  Realität ist.” Danach sprach er ein sehr einfaches Gebet. Ich sah,  dass er mit Gott so persönlich sprach, als wenn er mit seinem Vater sprechen  würde.  Nicht mit so komplizierten Worten wie der Pfarrer in der Kirche zu der ich einst jeden  Sonntag vier Kilometer mit Bergschuhen oder zu  kleine Schuhen weit marschieren  musste. Anschließend ging ich zurück zu der alten Dame, wo ich mein Zimmer hatte. Ich  hatte aber so starke  Schmerzen, dass ich ein Taxi rufen musste.  Der nächste Tag war der Tag der geplanten Operation. Ich musste morgens für das  Vorbereitungsgespräch nochmals in die Arztpraxis gehen. Für  den Nachmittag war dann  die Operation im großen Universitätsspital des Kantons Zürich geplant. Da ich zu dieser  OP nüchtern erscheinen musste,  nahm ich kein Frühstück zu mir. Ich saß dann wie  gewohnt im Wartezimmer. „Der nächste (Patient) bitte!“, ertönte es. In diesem Moment  fragte  die Ärztin: „Was ist mit Ihnen passiert?“, und im selben Moment nahm ich war,  dass ich normal gehen konnte. Anschließend saß ich auf dem  Untersuchungstisch, wobei  die Ärztin sehr nervös war. Ungefähr eine halbe Stunde lang ist sie mit dem Reflex- Hammer um mich herumgegangen  und hat immer wieder mein Knie abgeklopft. Das  Wasser, welches sich im Knie angesammelt hatte, war verschwunden. „Das ist einfach  nicht  möglich!“, meinte die Chirurgin, „Was haben Sie gemacht, Herr Stutz?“ Dann rief sie  im Unispital an und erklärte die Operation für aufgehoben.  Nun begann sie mir sehr, sehr  viele Fragen zu stellen. Sie wollte wirklich wissen was passiert war. Folglich habe ich  angefangen ihr sehr  zurückhaltend und mit großen Hemmungen die ganze Wahrheit zu  sagen. „Meine Schlummermutter (Schweizer Deutsch für Zimmervermieterin)  hat mir  erzählt, dass jeden Tag ein anderer Prediger, Pastor oder Evangelist dort im Volkshaus  am Helvetia - Platz sei und auch mit Leuten für ihre  Probleme bete. Ich möge mal  hingehen und könnte ja schauen – ‚vielleicht tut GOTT ein Wunder’. So bin ich  hingegangen, der Mann hat mit mir  gebetet und nun bin ich hier.“  Nachdem die Doktorin lange Zeit mein Knie mit dem Reflexhammer bearbeitet hatte,  sagte sie etwas, was ich nicht vergessen kann: „Es steckt halt  doch etwas dahinter.“  Danach schickte sie mich gesund fort. Nun war ich geheilt, machte mir aber keine  weiteren Gedanken über dieses Erlebnis.  Der Evangelist, welcher mit mir gebetet hatte  war Samuel Furrer aus Ebnat-Kappel im Toggenburg in der Schweiz. Bei der Ärztin  handelt es sich  um Frau Hildegard Schaffner, eine Chirurgin in der Nähe der Uni Zürich,  wo sich mein Arbeitsunfall ereignete. Ich war dann noch einen Monat in  dieser Firma und  kletterte mit vollen Tragmulden auf dem Rücken über die gefährlichen Baugerüste. Dann  hatte ich genug. Ich wollte was anderes,  etwas Sauberes machen. Dann wurde ich in das  Waisenhaus der Stadt Zürich gerufen um hier den Gärtner für einen Monat zu ersetzen.  Ich weiß  leider nicht mehr, wer mich hierher vermittelte.